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Anker 1

Böse Viecher und eine Operation

Themen:

Offene Herzoperation, Staphylokokken-Infektion, Rehabilitation, Narkose, Ressourcenaufbau, Dissoziation, Trauma, Albträume

Alter Patient/in:

45 - 50 Jahre

Angewandte Methode:

Craniosacral Therapie

(Diesen Blogeintrag habe ich vor mehreren Jahren verfasst, als der darin beschriebene Patient noch mein Partner war. Und obschon sehr privat, ist der Fall doch so interessant, dass ich ihn Ihnen nicht vorenthalten möchte. Um den erzählerischen Stil im O-Ton beizubehalten, habe ich darauf verzichtet, die damals benutzten Terminologien unserer heutigen veränderten privaten Situation anzupassen.)

 

Mein Partner und ich haben eine Abmachung miteinander. Sie lautet: Ich bin seine Herzensdame und nicht seine Therapeutin. Das heisst mit anderen Worten, ich behandle ihn nur im äussersten Notfall. Genauso einen Notfall hatten wir vor einigen Wochen. Mein Freund musste sich ziemlich ungeplant einer offenen Herzoperation unterziehen. Als Vorgeschichte muss man dazu wissen, dass er diese Operation vor anderthalb Jahren schon einmal hat machen müssen. Damals wurde ihm ein angeborener Klappenfehler korrigiert, indem ein Teil der Aorta durch einen Kunststoffschlauch und die darunterliegende Aortenklappe durch eine Klappe aus Metall ersetzt wurde.

 

Vor einigen Wochen nun wurde er plötzlich heftig krank. Hohes Fieber ohne ersichtlichen Grund, schlechter Allgemeinzustand, am dritten Tag ab auf die Notfallstation. Diagnose: Staphylokokken-Infektion im Brustraum. Das Immunsystem kann im Normalfall gut mit solchen Infektionen umgehen, aber wenn man irgendwo im Körper künstliches Material hat und diese kleinen Biester das finden, dann kleben sie sich kokonförmig dran und man hat subito ein ziemliches Problem. Also hieß es erst mal Antibiotika intravenös in rauen Mengen und zwei Wochen später die ganze OP von Vorn. Das künstliche Material musste raus, und durch Teile eines menschlichen Spenderorgans ersetzt werden. Dies war für meinen Partner verständlicherweise eine absolut traumatische Situation, war er doch überzeugt gewesen, mit dem ersten Eingriff vor anderthalb Jahren hätten sich herztechnisch alle Probleme erledigt.

 

Wir kamen also noch vor der Operation überein, dass ich ihn nach dem Eingriff werde behandeln dürfen. Das tat ich dann auch, am dritten und am fünften Tag nach der OP.

 

Eine Herzoperation ist nicht ganz das gleiche wie, sagen wir mal, eine Blinddarmentfernung.  Man wird an eine Herz-Lungen Maschine angeschlossen, die die ganze Sache mit der Atmung und dem Blutkreislauf für einen übernimmt und man wird doch recht tief runtergekühlt.  Alles in allem eine ziemlich heftige Sache. Für das Körpersystem ist es eigentlich eine Art künstlicher Tod.

 

Eins der Phänomene mit dem fast jedes System nach einer Operation zu kämpfen hat, ist die Dissoziation. Das bedeutet, dass man irgendwie nicht richtig mit seinem Körper verbunden ist. Schock und Trauma des Eingriffes haben einen sozusagen rauskatapultiert. Das bringt eine Art innere Dumpfheit  mit sich, man spürt sich nicht richtig und ist voll von der Rolle. Dissoziation ist aber gleichfalls ein Akt der Gnade, denn man nimmt eben auch die Schmerzen nicht mit voller Wucht wahr. Zusätzlich hat man noch das Problem des Morphiums, welches zwar ein ziemlich probates Schmerzmittel ist, aber auch nicht gerade dazu beiträgt, den Weg zurück in den Körper zu finden. Und mein Partner durchlief alle diese grauenhaften Zustände wie es im Buche steht. Hinzu kamen noch eine panische Angst vor dem Ersticken im Schlaf und die furchtbarsten Albträume von der Operation. Sehr schwierig, denn nach einer solchen OP kann man sich in den ersten paar Tagen kaum wach halten.

 

Die erste craniosacrale Behandlung war nur sehr kurz, vielleicht 20 Minuten. Ich versuchte so behutsam wie möglich mit seinem System und seinen Ressourcen Kontakt aufzunehmen, und zwar über die Füsse, um so weit wie möglich von der traumatisierten Operationsstelle entfernt zu sein. Ich trat ein in eine Welt aus Nebel und vollkommener Orientierungslosigkeit. Nervöse Panik, Schock, tiefe Verletztheit der grundlegenden existenziellen Integrität, Trauma total. Sein System fühlte sich an wie wenn man auf rutschigem Parkett ins bodenlose Nichts fällt. Das Allerwichtigste in diesem Moment war, Orientierung und Sicherheit anzubieten und das war auch das einzige, was ich tun konnte. Ich zeigte also seinem System, dass es nicht alleine ist, dass ich da bin und ihm helfen werde, sich zu orientieren. Danach haben wir gemeinsam seine Mittellinie neu gefunden, installiert und verankert. Das bedeutet, dass der Körper wieder weiss: So, das ist meine Wirbelsäule, daran kann ich mich nach oben, unten, links und rechts orientieren. Wie an einer Leitplanke. Das ist auch der Ort von dem aus man Zugang zu seinen Ressourcen, zu seinen eigenen Kräften hat. Es war aber auch wichtig, ihn jetzt nicht sofort wieder zack-bumm vollständig in den Körper zurück zu holen, denn Dissoziation macht, wie oben beschrieben, ein Stück weit auch Sinn. Nach der Behandlung war er etwas ruhiger und nicht mehr ganz so aufgekratzt.

 

Meinem Liebsten ging es zwar in den nächsten Tagen etwas besser, aber er wurde immer noch von schrecklichen Albträumen geplagt, war nach wie vor ziemlich dissoziiert und sehr schläfrig. Er konnte zu dem Zeitpunkt mit dem Infusonsständer einige eher wackelige Schritte auf dem Korridor machen, mit Pausen dazwischen, und dann zurück ins Bett. Das ist soweit auch vollkommen normal.

 

Die nächste Behandlung zwei Tage später war nicht viel länger als die erste, höchstens 30 Minuten. Aber sie war ziemlich krass. Alles fing ganz harmlos an. Ich nahm mit meinen Händen wieder vorsichtig Kontakt zum craniosacralen System auf. Ich realisierte sogleich, dass die Orientierung viel besser war und der Zugang zu den Ressourcen funktionierte. So weit, so gut. Jetzt wollte aber sein System etwas loswerden. So stellte ich mich also als Drainage zur Verfügung. Man muss sich das so vorstellen, dass man die Funktion eines Ventils und eines Abflussrohres übernimmt. Oder eines Blitzableiters. Zugegeben, nicht gerade klassische Craniosacral Therapie. Ich ließ also rausfließen, was immer da raus wollte. Das tat es über seine rechte Körperseite und durch meinen linken Arm. Ich weiß nicht, was da seinen Körper verließ, aber es brannte wie Feuer. Mein Patient schlief derweil ruhig wie ein Baby. Nach geraumer Zeit hörte es auf zu fließen und ich ließ ihn los. Sein System gab mir deutlich zu verstehen, dass die Behandlung damit beendet war. Es ist sowieso nicht ratsam, nach so einer Drainage noch weitere Sachen zu machen. Da sollte man sich erst mal selber reinigen und alles rausputzen, was vom Patienten vielleicht noch im Rohr klebt. Ich informierte ihn also kurz und ging in den Spitalgarten, um mir einige Minuten Zeit für den Abschluss der Behandlung zu nehmen.

 

Als ich zurückkam war der Teufel los. Mein Partner war sehr nervös und aufgebracht. Er hatte soeben einen schrecklichen Albtraum gehabt,  in dem jetzt sogar ich als Monster vorkam. Es war die Hölle - für uns beide. Das sind die Momente, in denen man das Gefühl hat, als Therapeut total versagt zu haben. Und als Freundin auch noch gleich mit dazu. Ich versuchte ihm zu erklären was während der Behandlung passiert war, und dass es manchmal eine Erschütterung im System gibt, wenn sich etwas aus der Tiefe einen Weg nach draußen bahnt. Sein Verständnis hielt sich in Grenzen, er konnte sich fast nicht mehr beruhigen. Trotzdem blieb mir nichts anderes übrig, als dem Prozess zu vertrauen. Bis dahin war es Abend geworden und ich ging bald darauf mit hängendem Kopf nach Hause.

Am nächsten Morgen traute ich meinen Augen kaum, als ich ins Krankenzimmer kam: Mein Liebster war plötzlich wieder Mensch, und wie! Er war sehr viel wacher und fitter, als noch tags zuvor. Er hatte einen wahren Quantensprung gemacht. Zum ersten Mal seit der Operation hatte er nachts ohne Albträume schlafen können. So viel zum Thema dem Prozess Vertrauen schenken. Ich war überglücklich! Seine Fortschritte waren von diesem Tag an so gut, die Heilung der Operationsnarben, der Aufbau der Kondition und die Verbesserung des Allgemeinzustandes gingen so rasant voran, dass sein Arzt ein Foto von ihm machte und ihn als seinen Vorzeigepatienten bezeichnete.

 

Es ist schier unglaublich, was die moderne Medizin zu leisten vermag, vor allem die Chirurgie meiner Meinung nach, und ich bin den Ärzten im Kantonsspital sehr dankbar für das Wunderwerk, das sie an meinem Partner vollbracht haben.

Hinzugefügt am:

27. November 2018

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